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Ganz gleich, wie komplex sich die menschliche Zivilisation entwickelt, es gibt immer wieder Zwischenphasen, in denen der Weg der Menschheit von den Aktionen eines einzigen Individuums abhängt.
Aus dem Tleilaxu Godbuk
Während der erbitterten Kämpfe zwischen Walküren und Geehrten Matres im Laborkomplex, inmitten der Explosionen und Brände und tieffliegenden Angriffsschiffe bemerkte niemand einen kleinwüchsigen Jugendlichen, der durch ein Loch flüchtete, das in die Wand eines Laborgebäudes gesprengt worden war, und durch den Rauch davonrannte.
Der einzige überlebende Waff-Ghola suchte Deckung und fragte sich, was er jetzt tun sollte. Die schwarz uniformierten Frauen von der Neuen Schwesternschaft marschierten in der Stadt umher und räumten auf. Bandalong war längst gefallen. Die Mater Superior war tot.
Trotz erheblicher Lücken in seinem Gedächtnis konnte sich Waff gut an die Schwierigkeiten erinnern, die die Bene Gesserit seinen Vorläufern gemacht hatten. Nachdem er gesehen hatte, wie seine sieben Brüder von den Geehrten Matres abgeschlachtet worden waren, hatte er nicht das Bedürfnis, sich von der einen oder anderen Frauenfraktion gefangen nehmen zu lassen. Dazu war das Wissen, das sich, wenn auch nur bruchstückhaft, in seinem Kopf befand, viel zu wertvoll. Sowohl die Hexen als auch die Huren waren Powindah, Außenstehende und Lügner.
Er eilte verstohlen durch die gefährlichen Straßen. Angesichts seiner Erinnerungen als Meister war Waff zutiefst betroffen, als er sah, wie diese heilige Stadt ins Chaos stürzte. Einst war Bandalong voller heiliger Stätten gewesen, unbefleckt von allen Fremdem. Das war vorbei. Er bezweifelte, dass Tleilax je wieder zu dem werden konnte, was es einmal gewesen war.
Doch im Augenblick war das gar nicht Waffs Hauptsorge. Die Gilde wollte ihn haben. Daran bestand kein Zweifel. Der Navigator, der seine grausame Erweckung beobachtet hatte, wusste um die Bedeutung, einen authentischen Tleilaxu-Meister in seiner Gewalt zu haben. Dagegen war der verlorene Narr Uxtal ein Nichts. Er verstand nicht, warum die Navigatoren ihn nicht schon während der ersten Angriffswelle gerettet hatten. Vielleicht hatten sie es versucht. Es hatte ein großes Durcheinander geherrscht.
Während er sich versteckte, dachte Waff über den Ansatz einer verlockenden Idee nach. Der Heighliner musste immer noch über Tleilax stehen.
* * *
Nach Anbruch der Dunkelheit fand der Ghola ein kleines Orbitalshuttle in einer Reparaturwerft am Rand der brennenden Stadt. Die Abdeckung der Triebwerke stand offen, und Werkzeug lag auf dem Boden verstreut. Er sah niemanden, als er sich vorsichtig näherte.
In einem heruntergekommenen Schuppen glitt eine Tür auf, und ein Tleilaxu der unteren Kaste in einem verdreckten Overall trat heraus. »Was machst du hier, Junge? Hast du Hunger?« Er wischte sich die Hände an einem Tuch ab und steckte es in die Hosentasche.
»Ich bin kein Kind. Ich bin Meister Waff.«
»Von den Meistern lebt keiner mehr.« Der kleine Mann hatte ungewöhnlich blondes Haar und Augenbrauen. »Hast du während der Kämpfe einen Schlag auf den Kopf bekommen?«
»Ich bin ein Ghola. Ich habe die Erinnerungen eines Meisters. Meister Tylwyth Waff.«
Der Mann bedachte ihn mit einem zweiten, weniger skeptischen Blick. »Also gut, ich werde diese Möglichkeit theoretisch in Betracht ziehen. Was willst du?«
»Ich brauche ein Raumschiff. Ist dieses Shuttle flugbereit?« Waff zeigte darauf.
»Es braucht nur noch eine Treibstoffpatrone. Und einen Piloten.«
»Ich kann es selbst fliegen.« Dafür reichte sein Gedächtnis allemal aus.
Der Mechaniker lächelte. »Irgendwie glaube ich es dir sogar, Junge.« Er schlenderte zu einem Haufen Ersatzteile hinüber. »Ich habe während der Kämpfe eine ganze Palette mit Treibstoffpatronen konfisziert. Niemand wird sie vermissen, und es sieht nicht danach aus, dass die Geehrten Matres in der Lage sein werden, noch irgendjemand für so etwas zu bestrafen.« Er stemmte die Hände in die Hüften, betrachtete das Shuttle und zuckte die Achseln. »Die Kiste gehört mir sowieso nicht, also kann es mir auch egal sein.«
In weniger als einer Stunde hatte Waff den Orbit erreicht und flog auf den Heighliner zu, der auf die Rückkehr der Streitmacht der Walküren wartete. Das riesige schwarze Raumschiff, das größer als die meisten Städte war, schimmerte im reflektierten Sonnenlicht. Ein weiteres Gildeschiff, das anscheinend mit einem Nicht-Feld ausgestattet war, umkreiste den Planeten in einer niedrigeren Umlaufbahn.
Waff aktivierte das Komsystem des Shuttles und sandte eine Botschaft auf der Standardfrequenz der Raumgilde. »Hier spricht der Ghola des Tleilaxu-Meisters Tylwyth Waff. Ich wünsche ein Gespräch mit einem Repräsentanten der Gilde, wenn möglich, einem Navigator.« Er zerrte einen Namen aus seinen jüngsten Erinnerungen hervor, vom blutigen Tag, als man seine sieben identischen Brüder vor seinen Augen abgeschlachtet hatte. »Edrik. Er weiß, dass ich wichtige Informationen über das Gewürz habe.«
Ohne sonstige Bestätigung übernahm ein Leitsignal seine Navigationskontrollen, und Waffs Shuttle trieb dem Heighliner entgegen, wurde zu den Brückendecks dirigiert, zu denen nur die Elite Zugang hatte. Das Gefährt landete in einem kleinen, exklusiven Hangar.
Er wurde von einem Sicherheitstrupp aus vier Gildenmännern in grauen Uniformen empfangen, die ihn mit milchigen Augen anstarrten. Die Männer, die viel größer als Waff waren, führten ihn zu einem Aussichtsdeck. Weiter oben erkannte Waff einen Navigator in seinem Tank, der mit übergroßen Augen durch das Plaz zu ihm herabstarrte. Um seinen Plan zur Rekonstruktion der Technik zur Massenproduktion von Melange nicht zu gefährden, würde Edrik die Bene Gesserit niemals darüber informieren, dass sich Waff an Bord befand.
Aus einem Lautsprecher drang eine verzerrte Stimme. »Erzählen Sie uns alles, was Sie über die Axolotl-Tanks und das Gewürz wissen. Dann werden wir für Ihre Sicherheit sorgen.«
Waff blickte trotzig zu ihm auf. »Versprechen Sie mir zunächst Sicherheit, dann werde ich Ihnen mein Wissen anvertrauen.«
»Selbst Uxtal hat niemals solche Forderungen gestellt.«
»Uxtal wusste nicht, was ich weiß. Außerdem ist er wahrscheinlich tot. Nachdem meine Erinnerungen erweckt wurden, brauchen Sie ihn sowieso nicht mehr.« Waff musste aufpassen, dass er seine gefährlichen Gedächtnislücken nicht offenbarte.
Der Navigator trieb näher an die Plazscheibe heran. In seinen riesigen Augen stand Begierde. »Nun gut. Wir gewähren Ihnen sichere Zuflucht.«
Waff hatte einen Alternativplan im Sinn. Er erinnerte sich an jeden Aspekt des Großen Glaubens und seiner Pflicht gegenüber seinem Propheten.
»Ich weiß etwas Besseres als die Erzeugung künstlicher, aber minderwertiger Melange durch weibliche Gebärmütter. Für die Vision eines sicheren Weges durch den Raum sollte ein Navigator echte Melange benutzen, reines Gewürz, das durch den Metabolismus eines Sandwurms geschaffen wurde.«
»Rakis ist zerstört, und die Sandwürmer sind ausgerottet, außer den wenigen, die auf dem Planeten der Bene Gesserit leben.« Der Navigator starrte ihn an. »Wie wollen Sie an Sandwürmer gelangen?«
Grinsend antwortete Waff: »Sie haben mehr Möglichkeiten, als Ihnen bewusst ist. Hätten Sie nicht lieber Ihre eigenen Sandwürmer? Fortgeschrittenere Würmer, die viel wirksameres Gewürz für die Navigatoren erzeugen ... nur für Sie?«
Edrik schwebte fremdartig und unbegreiflich, aber fraglos sehr interessiert in seinem Tank. »Fahren Sie fort.«
»Ich verfüge über spezielle genetische Kenntnisse«, sagte Waff. »Vielleicht können wir zu einer Übereinkunft von gegenseitigem Nutzen gelangen.«